Bei der Frage, ob Edward Snowden eine sichere Zuflucht in Deutschland
erhält, geht es nicht nur um diese eine Person. Es geht um unsere
Freiheit. Denn wenn Snowden in westlichen Demokratien keinen Schutz
erhält, welcher Hinweisgeber wird dann künftig noch die Öffentlichkeit
darüber informieren, wenn Ämter, Firmen oder Geheimdienste unsere
Grundrechte grob missachten? Der Fall Snowden ist deshalb Anlass für
uns, so genannte Whistleblower besser zu schützen. Ganz egal ob sie
Missstände in Unternehmen, Behörden oder Nachrichtendiensten aufdecken.
Seit Wochen tauchen neue Details über die streng geheimen Programme
„Prism“ und „Tempora“ in den Medien auf. Durch die Enthüllungen des
früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden wurde publik, in
welchem Ausmaß Geheimdienste wie die amerikanische NSA oder der
britische GCHQ Telefonverbindungen, Email- und Internetkommunikation
überwachen. So soll die NSA laut Berichten des
Nachrichtenmagazins Spiegel und des
britischen Guardian allein in Deutschland jeden Monat eine halbe Milliarde Mails, Chatbeiträge, Telefonate und SMS überwachen.
Zudem sollen die Amerikaner auch EU-Vertretungen in Washington und
New York mit Wanzen abgehört und deren Computersysteme infiltriert
haben. Der britische GCHQ habe laut einem
Bericht des Guardian
mehr als 200 wichtige Glasfaserverbindungen über den Atlantik angezapft
und arbeite dabei eng mit der NSA zusammen. Das bedeutet: Ob
Telefongespräche, der Besuch einer Website oder der Inhalt einer E-Mail:
Der Geheimdienst kann mitlesen und speichert die Daten auch.
Snowdens Einsatz für die Freiheit
Aus Sicht der US-Regierung hat Edward Snowden mit seinen Enthüllungen
Geheimnisverrat begannen und soll deshalb vor Gericht gestellt werden.
Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine lange Gefängnisstrafe – wenn
nicht sogar schlimmeres. Er hat deshalb in Deutschland und 20 weiteren
Ländern um Asyl gebeten. Deutschland hat dies mit einem dürren Satz
abgelehnt: „Die Voraussetzungen für eine Aufnahme liegen nicht vor“,
erklärten das FDP-geführte Auswärtige Amt und das CSU-geführte
Bundesinnenministerium.
Damit erweist sich die scheinbare Empörung der Bundesregierung über
den Abhörskandal als pure Heuchelei. Denn sie könnte Snowden sehr wohl
einen sicheren Aufenthalt in Deutschland gewähren: §22 des
Aufenthaltsgesetzes ermöglicht es, Menschen auch außerhalb des normalen
Asylverfahrens in Deutschland aufzunehmen, wenn dies der Wahrung der
„politischen Interessen“ der Bundesrepublik liegt. Merkel kann Snowden
also jederzeit aufnehmen – sie muss es nur wollen.
Trotz eines Auslieferungsabkommens mit den USA könnte die
Bundesregierung die Überstellung Snowdens an die USA verweigern. Dazu
könnte sie sich auf §4 des Abkommens berufen und auf den Standpunkt
stellen, dass seine Aufklärung über die Überwachungsprogramme des NSA
und des GCHQ eine „politische Straftat“ im Sinne des Abkommens
darstellt. Doch Merkel scheut den diplomatischen Konflikt mit den USA.
Sie ist zu feige, unsere Grundrechte zu verteidigen – obwohl sie doch
angeblich so empört ist über die Abhöraktionen der Amerikaner und
Briten.
Whistleblower brauchen Schutz
Snowden mag gegen Gesetze der USA verstoßen haben, aber er hat sich
um die Freiheit und die Bürgerrechte von uns allen verdient gemacht.
Mehrere deutsche Staatsanwaltschaften ermitteln bereits
gegen NSA und GCHQ wegen des Verdachts auf millionenfache Verstöße
gegen deutsches Recht, auf die mehrjährige Haftstrafen stehen. Ohne
Snowden wüssten wir nicht, in welchem Ausmaß wir überwacht und
bespitzelt werden. Durch die von ihm angestoßene Debatte besteht
zumindest eine Chance, die verloren gegangene Balance zwischen Freiheit
und Sicherheit wiederherzustellen. Dafür hat er unseren Schutz verdient.
Doch es geht nicht nur um Edward Snowden. Ob in der
Lebensmittelproduktion, in Pflegeheimen, bei illegalen Rüstungsexporten,
Umweltverschmutzung oder gar Kriegsverbrechen: Viele große Skandale
kamen nur durch sogenannte
„Whistleblower“ ans Licht der Öffentlichkeit. Menschen wie
Bradley Manning („Wikileaks“),
Daniel Ellsberg
und viele andere haben ihren Job, ihre Karriere, ihre Freiheit und in
vielen Fällen sogar ihr Leben riskiert, um die Öffentlichkeit über
Missstände zu informieren.
Solche Menschen brauchen Schutz. Denn es liegt im Interesse von uns
allen, wenn solche Skandale ans Licht kommen. Im Bundestag wurde erst
kürzlich über einen besseren Schutz von Whistleblowern beraten, doch die
schwarz-gelbe Koalition hat
alle Vorstöße abgelehnt.
Und das obwohl sie sich laut dem Antikorruptions-Aktionsplan der
G20-Staaten bis Ende 2012 zu besserem Whistleblower-Schutz verpflichtet
hatte.
Whistleblower, die sich an eine Behörde, die Presse oder eine
Nichtregierungsorganisation (NGO) wenden, um auf Missstände hinzuweisen,
müssen durch ein Whistleblower-Gesetz geschützt werden. Dies fordern
wir in unserem Appell.